Katharina Streichsbier, Nationalpark Rangerin und Wochenend-Hardeggerin erzählt vom Zauber von Hardegg
Langsam windet sich der Bus die engen Kurven hinunter in den Talkessel. Schon seit Retz spüre ich wie Spannung und Hektik von mir abfallen und sich Ruhe in mir ausbreitet. Nun auf den letzten Metern, den Fahrtwind im Gesicht, den Geruch des Waldes in der Nase und die ersten Blicke auf die Burg erhaschend, spüre ich, dass ich endgültig angekommen bin. Angekommen in Hardegg und angekommen bei mir.
Geflohen aus der engen und stickigen Stadt, aus der die Sommerhitze nie ganz zu weichen scheint und die Arbeit scheinbar nie ein Ende nimmt. Geflohen vor Lärm und einer Vielfalt an Eindrücken, die mein Geist und meine Sinne oft gar nicht fassen können. Geflohen vor Anforderungen, Ansprüchen und Erwartungen. Angekommen in Ruhe.
Barfuß spaziere ich durch den Garten. Schaue was es Neues gibt, ob ich einen Blick auf die zwei Grünspechte erhaschen kann, deren "Klüklüklü" so oft durch die Vorstadt hallt, ob wieder ein Kleiber in das Astloch im Apfelbaum eingezogen ist, ob die frechen Amseln mir dieses Jahr Kirschen übriggelassen haben. Hat die Apfelblüte dem Frost standgehalten? Eine Äskulapnatter schlängelt sich davon in den Garten der Nachbarn, der so viele Verstecke für sie bereit hält und viele sonnige Plätzchen. Ich höre die Falken über mir rufen und fast wie als Antwort darauf das "hiääh" der Bussarde, deren Horst wohl irgendwo am Henner liegen muss. Wie jedes Mal bin ich in so einem Moment einfach nur glücklich.
Meine Runde durch den Garten endet im Liegestuhl unter dem Apfelbaum. Umgeben von Wald, Himmel, Wasser und Fels. Eingebettet in Summen, Surren, Zwitschern, Plätschern und dem entfernten Brummen eines Rasenmähers döse ich ein.
Es ist der selbe hölzerne Liegestuhl in dem schon mein Uropa gelegen hat. Das feste, gestreifte Segeltuch ist bereits unzählige Male erneuert und von der Sonne gebleicht. Und vielleicht ist er sogar noch älter und die Sommergäste meiner Ururgroßeltern haben, so wie ich nun, darin gerastet? Wie so viele andere Hardegger Familien, haben auch sie im Sommer ihr Häuschen geräumt und im Heu verbracht, um ihren Gästen den einfachen Komfort ihrer eigenen Schlafstatt zu überlassen. 500 Gästebetten hatte Hardegg vor dem Ersten Weltkrieg! Meist wurden sie von Wiener und Znaimer Familien genutzt, die den ganzen Sommer hier in Beschaulichkeit und Müßiggang, weit ab vom Getümmel und der Hitze der Großstadt verbracht haben. Angereist sind sie schon damals mit dem Bus von Retz. Im Unterschied zu mir, wurden sie aber bei ihrer Ankunft bereits mit großem Aufgebot begrüßt. Die Musik hat aufgespielt, der Gesangsverein hat ein Ständchen gesungen, es wurde gewunken und gerufen! Die meisten der Anreisenden, kamen nicht zum ersten Mal. Im Gegenteil, die Besucher waren Hardegg und ihren Gastgebern oft über Jahrzehnte treu.
Was war es das diese Familien trotz langwieriger Anfahrt und schlichter Unterkunft immer wieder kehren lies? Natürlich! Für Unterhaltung und Abwechslung war gesorgt: Der österreichische Touristenklub lies Wanderwege ausbauen, es wurden Tennisplätze gebaut, die damals noch warme Thaya lud zum Baden ein und ein reges Vereinswesen sorgte für Unterhaltung und Abwechslung. Es gab Theatergruppen Vorführungen, Bootsfahrten, Sängerfeste, Teekränzchen ja sogar ein Klavier wurde für die Gäste angeschafft! Und auch das leibliche Wohl kam nicht zu kurz: Kaum vorstellbar, dass es damals mehrere (!) Bäckereien, Konditoreien, Fleischer und Gaststätten gab!
Aber neben diesem Unterhaltungsprogramm? Spürten auch die Gäste damals schon das Besondere dieses Ortes, so wie ich es heute noch spüre? Hier wird die "Weile lang", die Zeit scheint langsamer zu vergehen, ja sogar manchmal auszusetzen. Hardegg hat sein eigenes Tempo, bestimmt vom Lauf der Sonne, dem Wetter, dem Wachsen und Gedeihen, dem Vergehen und Sterben. Hier konnte, weit weg vom Alltag erst Raum entstehen für Kreatives. Für unbeschwerte Geselligkeit, Gesang und Theater.
Die Gäste haben sogar versucht das Lebensgefühl dieser Sommermonate mit in ihren Alltag zu nehmen. Die "Schleinbacher Gemeinde" war eine Vereinigung langjähriger Sommergäste, die sowohl in den Sommermonaten in Hardegg sehr aktiv Veranstaltungen und Unterhaltung organisiert hat, sich aber auch in den Wintermonaten getroffen hat und zu Teekränzchen und Musikabenden geladen haben, um in Erinnerungen zu schwelgen!
Aber nicht nur die Sommergäste waren Hardegg verfallen. Auch Hardegger selbst suchen zwar oft ihr Glück in der Ferne, kommen jedoch immer wieder zurück.
So auch meine Uroma. Sie durfte als junges Mädchen am Ende des Sommers mit den Gästen ihrer Großeltern nach Wien mitreisen, um dort als Stubenmädchen zu dienen. Lang hat dieses Abenteuer jedoch nicht gedauert. Das Heimweh dürfte heftig gewesen sein. Es wird noch heute von vielen Tränen in der Fremde berichtet. Noch vor Winterbeginn war sie wieder zuhause, hat ihre gestärkte Dienstuniform gegen Holzschuhe und Kittel eingetauscht und wieder Hühner gefüttert und Schafe gehütet. Das Leben hier war nicht leicht und hatte wenig zu tun mit dem unbeschwerten Müßiggang der Sommerfrischler, aber es war immer überschaubar und planbar. Es war vertraut. Es war ihr Eigenes.
Als die Katze auf meinen Schoß springt, schrecke ich hoch. Die Sonne senkt sich bereit langsam hinab ins Wettereck zwischen Reginafelsen und Binderberg. Wie will ich diesen Tag ausklingen lassen? Will ich mich mit einem Gläschen Spritzer aufs Bankerl vorm Haus setzten und den Schwalben bei ihren kunstvollen Manövern zusehen? Treffe ich mich mit den Nachbarn am Zaun auf ein Schwätzchen? Setze ich mich an den Bach und lasse die Füße ins Wasser hängen und halte nach der Ringelnatter Ausschau, die ich hier schon öfter beobachtet habe? Soll ich auf den Friedhof spazieren? Oder ist vielleicht ein Sprung ins kühle Nass des Waldbades jetzt das Richtige? Egal wofür ich mich entscheide, es passiert ohne Eile.
Vielleicht sehen wir uns ja diesen Sommer in Hardegg? Wenn wir unsere Sehnsucht nach Abstand zu unserem Alltag hier inmitten dieser gewaltig schönen Natur zu stillen suchen!
28.07.2016
Langsam windet sich der Bus die engen Kurven hinunter in den Talkessel. Schon seit Retz spüre ich wie Spannung und Hektik von mir abfallen und sich Ruhe in mir ausbreitet. Nun auf den letzten Metern, den Fahrtwind im Gesicht, den Geruch des Waldes in der Nase und die ersten Blicke auf die Burg erhaschend, spüre ich, dass ich endgültig angekommen bin. Angekommen in Hardegg und angekommen bei mir.
Geflohen aus der engen und stickigen Stadt, aus der die Sommerhitze nie ganz zu weichen scheint und die Arbeit scheinbar nie ein Ende nimmt. Geflohen vor Lärm und einer Vielfalt an Eindrücken, die mein Geist und meine Sinne oft gar nicht fassen können. Geflohen vor Anforderungen, Ansprüchen und Erwartungen. Angekommen in Ruhe.
Barfuß spaziere ich durch den Garten. Schaue was es Neues gibt, ob ich einen Blick auf die zwei Grünspechte erhaschen kann, deren "Klüklüklü" so oft durch die Vorstadt hallt, ob wieder ein Kleiber in das Astloch im Apfelbaum eingezogen ist, ob die frechen Amseln mir dieses Jahr Kirschen übriggelassen haben. Hat die Apfelblüte dem Frost standgehalten? Eine Äskulapnatter schlängelt sich davon in den Garten der Nachbarn, der so viele Verstecke für sie bereit hält und viele sonnige Plätzchen. Ich höre die Falken über mir rufen und fast wie als Antwort darauf das "hiääh" der Bussarde, deren Horst wohl irgendwo am Henner liegen muss. Wie jedes Mal bin ich in so einem Moment einfach nur glücklich.
Meine Runde durch den Garten endet im Liegestuhl unter dem Apfelbaum. Umgeben von Wald, Himmel, Wasser und Fels. Eingebettet in Summen, Surren, Zwitschern, Plätschern und dem entfernten Brummen eines Rasenmähers döse ich ein.
Es ist der selbe hölzerne Liegestuhl in dem schon mein Uropa gelegen hat. Das feste, gestreifte Segeltuch ist bereits unzählige Male erneuert und von der Sonne gebleicht. Und vielleicht ist er sogar noch älter und die Sommergäste meiner Ururgroßeltern haben, so wie ich nun, darin gerastet? Wie so viele andere Hardegger Familien, haben auch sie im Sommer ihr Häuschen geräumt und im Heu verbracht, um ihren Gästen den einfachen Komfort ihrer eigenen Schlafstatt zu überlassen. 500 Gästebetten hatte Hardegg vor dem Ersten Weltkrieg! Meist wurden sie von Wiener und Znaimer Familien genutzt, die den ganzen Sommer hier in Beschaulichkeit und Müßiggang, weit ab vom Getümmel und der Hitze der Großstadt verbracht haben. Angereist sind sie schon damals mit dem Bus von Retz. Im Unterschied zu mir, wurden sie aber bei ihrer Ankunft bereits mit großem Aufgebot begrüßt. Die Musik hat aufgespielt, der Gesangsverein hat ein Ständchen gesungen, es wurde gewunken und gerufen! Die meisten der Anreisenden, kamen nicht zum ersten Mal. Im Gegenteil, die Besucher waren Hardegg und ihren Gastgebern oft über Jahrzehnte treu.
Was war es das diese Familien trotz langwieriger Anfahrt und schlichter Unterkunft immer wieder kehren lies? Natürlich! Für Unterhaltung und Abwechslung war gesorgt: Der österreichische Touristenklub lies Wanderwege ausbauen, es wurden Tennisplätze gebaut, die damals noch warme Thaya lud zum Baden ein und ein reges Vereinswesen sorgte für Unterhaltung und Abwechslung. Es gab Theatergruppen Vorführungen, Bootsfahrten, Sängerfeste, Teekränzchen ja sogar ein Klavier wurde für die Gäste angeschafft! Und auch das leibliche Wohl kam nicht zu kurz: Kaum vorstellbar, dass es damals mehrere (!) Bäckereien, Konditoreien, Fleischer und Gaststätten gab!
Aber neben diesem Unterhaltungsprogramm? Spürten auch die Gäste damals schon das Besondere dieses Ortes, so wie ich es heute noch spüre? Hier wird die "Weile lang", die Zeit scheint langsamer zu vergehen, ja sogar manchmal auszusetzen. Hardegg hat sein eigenes Tempo, bestimmt vom Lauf der Sonne, dem Wetter, dem Wachsen und Gedeihen, dem Vergehen und Sterben. Hier konnte, weit weg vom Alltag erst Raum entstehen für Kreatives. Für unbeschwerte Geselligkeit, Gesang und Theater.
Die Gäste haben sogar versucht das Lebensgefühl dieser Sommermonate mit in ihren Alltag zu nehmen. Die "Schleinbacher Gemeinde" war eine Vereinigung langjähriger Sommergäste, die sowohl in den Sommermonaten in Hardegg sehr aktiv Veranstaltungen und Unterhaltung organisiert hat, sich aber auch in den Wintermonaten getroffen hat und zu Teekränzchen und Musikabenden geladen haben, um in Erinnerungen zu schwelgen!
Aber nicht nur die Sommergäste waren Hardegg verfallen. Auch Hardegger selbst suchen zwar oft ihr Glück in der Ferne, kommen jedoch immer wieder zurück.
So auch meine Uroma. Sie durfte als junges Mädchen am Ende des Sommers mit den Gästen ihrer Großeltern nach Wien mitreisen, um dort als Stubenmädchen zu dienen. Lang hat dieses Abenteuer jedoch nicht gedauert. Das Heimweh dürfte heftig gewesen sein. Es wird noch heute von vielen Tränen in der Fremde berichtet. Noch vor Winterbeginn war sie wieder zuhause, hat ihre gestärkte Dienstuniform gegen Holzschuhe und Kittel eingetauscht und wieder Hühner gefüttert und Schafe gehütet. Das Leben hier war nicht leicht und hatte wenig zu tun mit dem unbeschwerten Müßiggang der Sommerfrischler, aber es war immer überschaubar und planbar. Es war vertraut. Es war ihr Eigenes.
Als die Katze auf meinen Schoß springt, schrecke ich hoch. Die Sonne senkt sich bereit langsam hinab ins Wettereck zwischen Reginafelsen und Binderberg. Wie will ich diesen Tag ausklingen lassen? Will ich mich mit einem Gläschen Spritzer aufs Bankerl vorm Haus setzten und den Schwalben bei ihren kunstvollen Manövern zusehen? Treffe ich mich mit den Nachbarn am Zaun auf ein Schwätzchen? Setze ich mich an den Bach und lasse die Füße ins Wasser hängen und halte nach der Ringelnatter Ausschau, die ich hier schon öfter beobachtet habe? Soll ich auf den Friedhof spazieren? Oder ist vielleicht ein Sprung ins kühle Nass des Waldbades jetzt das Richtige? Egal wofür ich mich entscheide, es passiert ohne Eile.
Vielleicht sehen wir uns ja diesen Sommer in Hardegg? Wenn wir unsere Sehnsucht nach Abstand zu unserem Alltag hier inmitten dieser gewaltig schönen Natur zu stillen suchen!
28.07.2016